Von Alice lernen...
„Fang am Anfang an“, sagte der König zu Alice. Springen wir ein gutes Jahrzehnt in der Zeit zurück, damals saß ich an meiner Magisterarbeit über ein paar feine Autorinnen des amerikanischen Modernismus, Djuna Barnes und H.D., und beschäftigte mich mit dem Thema Bildlichkeit in ausgewählte Werken der beiden Autorinnen.
Das Erbe von Brandeis...
Ich hatte mich zuvor kreuz und quer durch Faulkner, Hemingway und F. Scott Fitzgerald geackert und verstand langsam einen Satz, den mein Creative Writing Professor in Brandeis mir näher gebracht hatte: „Wenn du schreiben lernen willst, dann lies alles von Faulkner, das du finden kannst. Und wenn du das geschafft hast, dann lies alles von Hemingway, um den verdammten Faulkner wieder aus deinem System zu bekommen.“
Mythos und Modernismus
Zwei Dinge habe ich damals herausgefunden: Modernismus versteht man nicht, wenn man ihn liest. Sicher, das Denkgerüst kriegt man leicht zusammen: Frazers Goldener Zweig, Jungs Archetypen und Campbells Monomythos, ewige Geschichten in immer neuen Masken, sich immerwährend wandelnde Hüllen, die uralte, tradierte Fossilien bedecken und neu beleben. Odysseus, der aufblühend durch Dublin mäandert, die weindunkle See in einem Guinnessglas, ausufernd in Molly Blooms orgiastischem „Ja ich will, ja.“
Vision im Wald... |
Der Feind im Käfig
Ezra Pound, enfant terrible, Feind der freien Welt. Eingesperrt in einen Käfig in Italien als faschistischer Propagandist. Den setzt Kenner ins Zentrum des modernistischen Mahlstroms, des Strudels der Worte, dem Trichter und Vortex der Sprache, der alles wegfegt, bis nur noch das reine, existenzielle übrig bleibt. Eine Haltung, die allein schon gefährlich für Dichtung ist, und aber tödlich, wenn sie vom Blatt in die Wirklichkeit schwappt: „The apparitions of these faces in a crowd, like petals on a wet black bough.“, heißt es in Pounds Gedicht „In the metro.“ Ein Krieg gegen Vergleich und Metapher, weg vom Geschwurbel und Geschwafel, hin zu einer klaren Sprache kristallklarer Bilder. Gedichte, wie japanische Haikus und chinesische Piktogramme: Die Sonne, die über einem Haus aufgeht, und für den Morgen steht.
Eine Wirklichkeit aus Worten
Wer es weniger lyrischer, aber umso prosaischer mag, dem sein das andere Buch von Hugh Kenner über die Modernisten ans Herz gelegt: In „A Homemade World“ . Hier beschreibt er die Kunstwelten Faulkners und Hemingways, verdichtete oder reduzierte Imaginationsräume, die wie Faulkners fiktives Yoknapatawpha County oder Hemingways Schnee am Kilimandscharo eine Wirklichkeit aus Worten schaffen, in der jede Handlung, jeder Gedanken, jede Passion und jede Triebtat mit der äußeren Realität verschmilzt. Eine große Kunst, wie man sie später auch in „All the Pretty Horses“ oder „Blood Meridian“ von Cormac McCarthy schrecklich schön bewundern kann
Der Fluch der Romantik
Aber Pound ist nur die eine Wahrheit. Die andere findet sich bei Edmund Wilson, dem anderen großen Verdichter literarischer Leben. In „Axel’s Castle“ sind es die Symbolisten, jene ekstatischen Lotusessern des Fin de siécle, die den Grundstein für den Modernismus legen. Magische Denker, Spätromantiker, Orakel und spätere Zeugen des ersten Weltenbrandes: „Things fall apart; the centre cannot hold; Mere anarchy is loosed upon the world,“ heißt es in Yeats „Second Coming“. Hier ist die Welt das Grauen: „Leben? Das können unsere Diener für uns tun“, heißt es im namengebenden Drama „Axel“ von Auguste Villiers de l'Isle-Adam. Die Kunst, die Vorstellungskraft als Panic Room, als sichere Zuflucht.
Aber l’art pour l’art allein kann soll es ja auch nicht
sein. Zwei Seiten einer Medaille: Das Gegenteil einer großen Wahrheit ist auch
wahr, wie Nils Bohr, einer der Väter der Atombombe, es treffend ausgedrückt
hat. Wir sind die Welt. Das Draußen und
das Drinnen wird eins über die Sprache. Wir denken darin und können ihr nicht
entkommen. Die Sprache, das Wort, und damit das Denken, das ist unser aller
Higgs-Teilchen. Und wer jetzt noch mehr
über Sprache, Chiffren und die Atombombe wissen will, sollte mal wieder den
englischen Patienten von Michael Ondaatje in die Hand nehmen. Den ihm Gegensatz
zur Verfilmung gibt’s im Buch noch eine Menge mehr als atemberaubende
Landschaftsaufnahmen.
Die andere Sache, die ich damals herausgefunden habe?
Klüngel. Klüngel sind überall und immens wichtig. Ich mag dich und du magst
mich. Du hilfst mir und ich helf dir. Schaut man sich all die Literaten der
Roaring Twenties genauer an, dann merkt man, dass es einen regen Austausch,
körperlich und geistig, unter ihnen gegeben hat. Literaten sind ja
glücklicherweise auch nur Menschen.
Zusammen Genies sein...
Zusammen Genies sein...
Wer hierzu noch mehr juicy bits wissen will, kann sich „Being Geniuses Together“ von Kay Boyle und dem wirklich großartigen und geistreichen Robert McAlmon zu Gemüte führen.
Und Robert McAlmon gehört zu meinen heimlichen Helden:
Irgendwann, ziemlich früh, nachdem er versehentlich eine junge Millionärin
geheiratet hatte, fiel ihm auf, das er nicht das Zeug zum großen Literaten
hatte. Also hat er einfach das nächstbeste gemacht: die Jungs und Mädels
veröffentlicht, die er für gut hielt… Und das waren dann in kurzer Zeit so
ziemlich alle großen Autoren und Dichter des Modernismus.
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